Warum Kühe Hörner tragen
Wenn man eine Herde Kühe genau beobachtet, die Hörner tragen, sieht man sofort, dass sie ihre Hörner als Kommunikationsorgane einsetzen.
Man sieht, wie jede Kuh eine unsichtbare Zone von ca. 4 m um ihren Kopf vor sich her trägt. Die genaue Distanz variiert nach der Stärke der Kuh. In diesen unsichtbaren Raum darf sich nur jemand wagen, der zuvor mit der Kuh Kontakt aufgenommen hat. Da die Kuh schlecht sieht, aber sehr gut hört, sieht sie nur die Grundbewegungen, das Schema und die Umrisse eines Körpers. Deshalb sind die Hörner besonders wichtig, um den visuellen Kontakt herzustellen.
Kühe die sich gegenseitig seit Jahren kennen, haben ein differenziertes Ausdrucks- und Sozialverhalten entwickelt, bei dem sie einander bereits in kürzester Zeit über eine große Distanz ihre Befindlichkeiten mitteilen, einander erlauben näher zu kommen, einander Bedingungen stellen und einander kommunizieren. Das geschieht alles in kurzen Momenten über die Körperhaltung, vor allem aber über die Stellung der Hörner zum quadratischen Körper als Kommunikationsinstrument im visuellen Bereich.
Neueste Forschungen zeigen, dass in Freilaufställen Kühe mit Hörnern sich weniger häufig körperlich berühren als Kühe, die haben lösen ihre Konflikte visuell, bevor es schmerzt. Kühe, denen die Hörner weggenommen worden sind, puffen sich vier- bis achtmal mehr gegenseitig in den Körper, um ihre Grenzen zu markieren. Puffen und Berühren bedeutet für die Kuh aber
immer Stress.
Wenn wir eine Kuhherde auf der Weide beobachten, so müssen wir davon ausgehen, dass die Körperhaltung in dieser Herde und bei der einzelnen Kuh nie zufällig ist, sondern das Resultat eines gegenseitigen Netzes von stetig laufender und fließender Kommunikation. Wir sehen die stärkste Kuh in der Mitte der Herde stehend, sie liegen auch in der Mitte und wir sehen einen Ring von Freundinnen um sie herum. Am Rande stehen meist, abgewendet mit dem Hinterteil zu den Stärksten, die schwächeren Kühe. Sie zeigen: "ich will nicht in die Mitte kommen, ich schaue weg''.
Für einen geübten Kuhhirten ist es ersichtlich, welche Kühe sich in der Herde sicher bewegen, welche er beim Treiben hinten halten muss, in einer wenig umkämpften Zone, damit der harmonische Lauf der Herde beim Viehtrieb nicht gestört wird. Wir beobachten, dass das Horn sehr breit eingesetzt wird, um den Körper zu reinigen, die Kuh kann sich damit den Rücken kratzen.
Wir beobachten auch Kühe die sich gegenseitig mit den Hörnern kratzen, und sich selbst sogar am Horn ihrer Freundin die Augen kratzen. Man stelle sich vor wie viel Vertrauen es zwischen zwei Freundinnen braucht um dieses äußerst verletzliche Organ nicht zu verletzen. Das Horn ist gefüllt mit einem Knochen, der von einer belebten Nervenhaut umgeben ist und kräftig durchblutet wird. Darum ist das Horn sehr warm, wenn die Kuh gesund ist.
Es ist gut vorstellbar, dass die Kuh das Horn millimetergenau einsetzen kann weil eben viel Bewusstsein in den Hörnern vorhanden ist. Die Hörner sind eben nicht Kampfinstrumente, wie meinst angenommen, sondern Instrumente zur Kommunikation um den Kampf zu vermeiden. Eine Kuhherde ohne Hörner muss andere Strategien entwickeln, um diesen Stressabbau leisten zu können. Die Hörner befähigen die Kuh Konflikte zu lösen. Das macht die Kuh sicher, fördert ihre individuelle Entwicklung und Ausdrucksfähigkeit und gibt ihr die Möglichkeit, die Umgebung zu beherrschen und eine innere Ruhe zu entwickeln. So kommt ihr ureigenes Wesen besser zum Ausdruck.
Hörner leisten auch noch auf einem zweiten Weg wesentliche Beiträge zum inneren Wohlbefinden der Kuh, nämlich der Verdauungsqualität. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Milch von Kühen mit Hörnern eine andere Kristallstruktur aufweist, als jene von enthornten Kühen.
Kühe Versteher Martin Ott